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Von Bischof Joseph Ludwig Colmar
Dies ist der Originaltext der Weihnachtspredigt, wie sie 1802 gehalten wurde. Da ist der Text wie heute neu gehalten wurde. Beachten Sie bitte auch die Infos zum Projekt Historische Predigten!
Ich verkündige euch eine große Freude, die dem ganzen Volke widerfahren wird
Lukas 2, Vers 10
Dom zu Mainz 1802
Wie oft habt ihr schon gerufen, laut oder still für euch: Oh Gott, du Quelle alles Guten, mache alle Menschen glücklich! Wie oft habt ihr, wenn ihr Tränen fließen saht, wenn ihr das Unglück seufzen hörtet, dieses Gebet wiederholt: Mein Gott, o mein Gott, mache doch die Menschen glücklich. Wie oft habt ihr sogar die Frage wiederholt: Warum sind denn nicht alle Menschen glücklich? Mein Gott, mein Gott mache sie doch glücklich, mache alle Menschen glücklich! Die Erfüllung dessen, was euer Herz so sehnlichtst wünschet, was euer Mund so erflehte, werde ich euch heute mit dem Engel des Allmächtigen verkünden.
Was ich euch verkünde, ist, dass nun alle Menschen glücklich werden sollen, dass wenigstens von Gottes Seite alles geschehen ist, sie glücklich zu machen!
Die Botschaft, die ich euch von Seiten Gottes und mit dem Engel Gottes verkündige, ist, dass euch ein Heiland geboren worden ist, dass der Himmel sich den Menschen wieder öffnet, dass sie alle glücklich, wahrhaft glücklich, glücklich auf Erden, glücklich im Himmel, glücklich für immer werden sollen!
So tröstet euch denn und jauchzet vor Freude, die ihr euren Nächsten so liebt, sein Glück mitempfindet und sein Unglück mitfühlt! Tröstet euch und jauchzet vor Freude, mit den himmlischen Chören.
Als der Allerhöchste den Menschen aus dem Nichts ins Dasein rufen wollte, sagt ein Kirchenvater, traf er verschiedene Vorbereitungen. Er schuf das Himmelsgewölbe, unter welchem wir wohnen, er befahl dem Lichte, zu leuchten, der Sonne, sich täglich zu erheben, er schuf die Erde und erfüllte sie mit den mannigfaltigsten Verzierungen, er versah sie mit Allem, was notwendig, was nützlich und angenehm war – und erst nach allen diesen Vorbereitungen schuf er den Menschen, und schuf ihn in der lieblichsten Jahreszeit, er versetzte ihn in den angenehmsten Aufenthalt, er unterwarf ihm Alles und sagte, indem er ihn den übrigen Geschöpfen vorstellte: Dieser ist euer Herr und Meister, ihm sollet ihr untertan sein. So trat der Mensch in diese Welt ein.
Aber als Gott selbst auf diese Erde kommen sollte, welche Vorkehrungen werden da getroffen? Nicht einem Sterblichen, sondern Gott selbst soll eine Wohnung zubereitet werden. Und welche Anstalten trifft er?
Ich öffne die Bücher des jüdischen Volkes, ich stoße auf die Geschichte einer edlen Familie, welche so lange den königlichen Zepter geführt hatte. Sie zerfällt, sie verliert von Geschlecht zu Geschlecht an ihrem Ansehen, die letzten Sprösslinge derselben sind endlich genötigt, sich ihren Unterhalt durch die Arbeit ihrer Hände zu erwerben, sie gerät in die drückendste Armut. Und woher dieser Verfall? Ihr seht denselben vielleicht als eine Folge der Strafgerichte Gottes an, ihr fraget schon, was hat denn dieses Haus gesündigt? Ach, Vielgeliebte, ändert eure Gesinnung, wie verschieden von den unsrigen sind nicht die Gedanken unseres Gottes! Nicht darum, weil Gott diese Familie strafen will, lässt er sie so sinken, sondern darum, weil er aus ihrer Mitte sich eine Mutter ausersehen hat, weil er will, dass Maria nicht von dem Glanze ihrer Abkunft umgeben, weil er will, dass, bevor Jesus aus ihr geboren werde, die Erinnerung an das Haus Davids und ihre königlichen Ahnen vollends erloschen sein soll. So wenig, Vielgeliebte, so wenig achtet der neugeborene Erlöser alles, was Geburt, Herkommen, Ruhm, Ansehen, Würde heißt, er bietet mehr auf, um in der Niedrigkeit geboren zu werden, als wir aufbieten würden, um, wenn es von uns abhinge, zu den höchsten Ehren zu gelangen.
Ich öffne abermals die Bücher der Geschichte; ich finde dass ein mächtiger Monarch ein Gebot erlässt, wodurch er alle seine Untertanen, jeden in seinen Geburtsort zurückruft, um daselbst eingeschrieben zu werden, er will die Zahl derselben mit Bestimmtheit wissen. Ihr seht vielleicht darin nur den Stolz des Kaisers, die eitle Begierde, die Macht seines Reiches kennen zu lernen und sich derselben zu rühmen. O Vielgeliebte, lasst diese Gedanken fallen! So wie der Himmel über die Menschen erhaben ist, so weit gehen die Gedanken Gottes über jene der Menschen. Der Herr ist es, welcher diese Begebenheit, deren Gleichen man nicht gesehen hatte, vorbereitet hat. Und warum dieses? Weil, so schreibt ein großer Heiliger, weil der Sohn Gottes nicht zu Nazareth wollte geboren werden: denn dort, sah er voraus, würde er nicht verlassen genug sein, würde er nicht genug zu leiden haben. Darum erging nach seinem ewigen Ratschluss das kaiserliche Gebot, in Folge dessen er Nazareth verlassen musste, weil er zu Bethlehem geboren werden wollte; denn dort, sah er voraus, würde er von allen Seiten verstoßen werden, dort würde er keine Unterkunft finden und weit größeren Bedrückungen als in der Vaterstadt seiner Eltern unterworfen sein; darum erging das kaiserliche Gebot, welches ihn nach Bethlehem führte.
Ihr seht, Gott bietet mehr auf um in der Niedrigkeit geboren zu werden, als wir aufbieten würden, um zu den höchsten Ehren zu gelangen?
Ach, Vielgeliebte, wie verschieden sind doch die Gedanken Gottes von jenen des Menschen! Als der Sohn Gottes Fleisch werden sollte, veranstaltete die göttliche Vorsicht alles so, dass die Geburt in die raueste Jahreszeit, in die raueste Nacht dieser Jahreszeit, und in die raueste Stunde der Nacht fallen musste. So wenig achtet der die Bequemlichkeiten des Lebens, von dem geschrieben steht: "Im Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott wer das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht worden ist."
Ihr fragt mich: Heißt dies wahr und aufrichtig die Ehren, Reichtümer und sinnlichen Genüsse des Lebens verachten? Ich aber frage euch! Heißt es wohl: Erhebt euch denn, o Menschen, brüstet euch nun, strebet nach den ersten Stellen, seid gierig nach Ehren, vergesset, wie viele hilfsbedürftig unter euch stehen, und blicket nur sehnsüchtig nach Jenen, die oben stehen; beklaget euch, dass ihr nicht so viele Talente, nicht so viel Gewalt, nicht so viele Ahnen habt, als Andere, nachdem euer Erlöser, euer Gott, sich so sehr verdemütigt hat! Haschet nach Geld und Gut, schmachtet nach Reichtümern, setzet alles in Bewegung, brauchet List und Gewalt, um euch schneller zu bereichern, nachdem euer Erlöser, euer Gott, die ganze Erde in Bewegung gesetzt hat, um nach Bethlehem zu kommen und dort in einem Stalle geboren zu werden! Eilet zu allem Ergötzlichen hin, trinket den Becher der irdischen Freuden bis auf die Hefen aus, haltet alles für erlaubt, lasst euer Wohlbehagen über Recht und Unrecht, und eure Gelüste über eure Pflichten entscheiden, nachdem euer Erlöser, euer Gott in Leiden und Mangel geboren werden wollte!
O, ihr Verstockten, höret ihr denn nicht wirklich aus der Krippe, in der er liegt, den Ruf ertönen?
Wehe euch, die ihr über andere erhaben seid, und diesen euren Vorrang so übermütig geltend machet, indessen euer Erlöser den niedrigsten Stand für sich gewählt hat! Wehe euch ihr Reichen! Die ihr eure Reichtümer über Alles schätzt, da euer Gott arm sein wollte, wehe euch, die ihr in Freuden schwimmet und denselben von ganzen Herzen nachhänget, indessen euer Erlöser, euer Gott, Tränen vergieset! Wollet ihr noch immer mit dem gefallenen Engel ausrufen: Ich will höher steigen, ich will mich emporschwingen, bis ich dem Allerhöchsten ähnlich sein werde? Ach, Mensch! Du willst dem Allerhöchsten gleich sein? Wohlan, so steige herab; sieh! hier liegt er in der Krippe, willst du deinem Gott ähnlich werden, so demütige dich, so verliere dich im Staube deines Nichts, verachte, was die Welt schätzt, und du wirst deinem Erlöser deinem Gott, ähnlich sein.
Er rühmt sich seiner Armut. Kaum ist er auf die Welt gekommen, so schickt er seine Engel aus, um die Ankunft des erwarteten Heilands zu verkünden; er wird nicht in Jerusalem, sondern in einem unbekannten Dorfe, Bethlehem, geboren. Gott richtet alles so ein, dass sein Sohn in Bethlehem Mensch wird; in dem Ort, welcher der ärmste und elendeste bleiben wird alle Zeiten; so werden noch die Kinder und Kindeskinder ihren Blick wenden zu dieser Stätte. Hier werden sie sehen, wo und in welcher Weise Gott Mensch wird. Er ruht nicht auf purpurnen Decken, sondern in einem Stalle, nicht auf dem Throne, sondern in einer Krippe; statt eines feierlichen Empfanges, der ihm gebührt hätte, wird er von allen Seiten abgewiesen – und über diese seine Ankunft, über diese seine Dürftigkeit soll nach seinem Willen die Erde vor Freuden jauchzen, die Engel sollen beim Anblick seiner Armut die Lüfte mit Wohlgesang erfüllen!
Ihr fragt mich, wie Friede auf Erden wird! Ihr fragt mich, was ihr tun sollet! Ihr fragt mich, wie denn die Menschen glücklich werden sollen.
Ich kann euch nur sagen, es ist alles vorbereitet. Doch ich bin nicht euer Lehrmeister. Schauen wir doch, welche Lehre er für euch hat, die wir so eitel sind. Auf, macht euch auf! Fort nach Bethlehem, dort ist unser Lehrmeister, dort wollen wir über unsere Schwäche erröten, wenn wir die Verachtung sehen, mit welcher der Gottmensch alle unsere Lieblingsgegenstände von sich stößt. Und noch einmal sage ich euch: Fort, fort nach Bethlehem, dort ist unser Lehrmeister, dort wollen wir über unsere Schwäche erröten, wenn wir die Verachtung sehen, mit welcher der Gottmensch alle unsere Lieblingsgegenstände von sich stößt.
Welch eine Lehre liegt dort für euch, ihr Großen der Erde. Gewiss, ihr seid groß in unseren Augen, aber bedenkt ihr wohl, was ihr in den Augen Gottes seid? Weniger als ein armer Hirte, wenn er besser ist, als ihr. Wir bezeugen euch Ehrfurcht, weil die Vorsehung euch über uns gestellt hat; aber hütet euch wohl vor Verblendung, opfert alle Huldigungen, die euch zukommen, Gott oder er wird euch tief demütigen. Wollet ihr etwas vor seinen Augen sein, so seht nach Bethlehem, dort ist auch euer Lehrmeister, machet auch euch dort würdiger, und wir werden nach den Geboten Gottes und dem Drange unseres Herzens euch gern untertänig sein!
Ihr seid noch da? Erwartet ihr, dass ich etwas anderes sage?, dass ich es doch leichter mache? Ihr sucht immer Lehrmeister, die es euch leichter machen! Ihr werdet sie finden, doch so nicht den Frieden, den wir suchen. Ich bin nicht euer Lehrmeister.
Gehen wir also alle hin, meine Brüder! Dort werden wir aus seiner Wiege schon die hohe Weisheit hören, die er die Welt lehren will.
Dort in der Krippe predigt er uns schon: Glücklich sind die Armen, deren Sinn nicht durch Gier gefesselt ist, glücklich sind die Traurigen, die auf Gott vertrauen, glücklich die, welche von der Welt Verfolgung leiden und doch ihrem Gewissen treu bleiben!
Schon höre ich, wie er eines Tages sagen wird: Glücklich, die ihr gekommen seid um zu hören und zu sehen. Schon sehe ich, dass er der Tröster der Betrübten, der Beschützer der Waisen, der Vater aller Unglücklichen, der Gesandte Gottes, der versprochene Messias ist, der für die Erlösung und Beglückung der Welt auf Erden erscheinen sollte.
Alle Menschen können also von nun an glücklich werden, und Gott hat alles aufgeboten, sie glücklich zu machen.
Ihr könnet glücklich und wahrhaft glücklich werden, ihr Reichen, ihr Großen, ihr Mächtigen der Erde, wenn ihr eure Reichtümer so genießt, als seien sie nicht die eurigen, wenn ihr euere Macht so nutzt als sei sie von dem, der da liegt in Bethlehem. Ihr könnet glücklich werden, ihr Armen und Verlassenen, ihr seid die Lieblingskinder des Himmels, euch ganz besonders wollte unser Gott und Erlöser ähnlich werden.
Ihr alle könnet glücklich werden, sie alle können glücklich werden, die wir mit Liebe umfassen, alle Menschen bis an die äußersten Grenzen der Erde und bis zum Ende der Zeiten!
Wenn ihr euch nur aufmacht und sehet, wie glücklich er uns machen will, dann könnt ihr mit aufrichtigem Herzen euch den himmlischen Heerscharen anschließen und voll Freuden singen: Ehre, Preis und Liebe dem Allerhöchsten, der ganz Liebe ist, Glück und Frieden allen Menschen, die eines guten Willens sind, die ihr Glück von ihrem Gott erwarten.
Amen.
Da ist der Text wie heute neu gehalten wurde.
Bischof Joseph Ludwig Colmar
Joseph Ludwig Colmar wurde am 22. Juni 1760 in Straßburg (Elsaß), geboren. Zum Priester wurde er dort im Jahre 1784 geweiht. Nach 1789 (Zeit der französischen Revolution) wurde er verfolgt; er musste sich verstecken; ein "Kopfgeld" war auf ihn ausgesetzt. Erst ab 1797 konnte er wieder als Priester tätig sein. Er hielt seine Predigten nun im Straßburger Münster (Dom) bis er am 3. Oktober 1802 zum Bischof von Mainz geweiht wurde. Die Revolutionskriege prägten seine Zeit. Er starb am 15.12.1818.
Die vorliegende Predigt ist ein kleiner Ausschnitt seiner Fortsetzungspredigt, die er in mehreren Gottesdiensten zu Weihnachten 1802 im Mainzer Dom hielt.
Er hatte die Predigt bereits Weihnachten 1801 im Straßburger Dom gehalten.